Albanien
- Dömi
- 27. Juni
- 6 Min. Lesezeit

Über „Besa“, ein kleines Wort mit einer tiefgreifenden Bedeutung, eine regnerische Woche, welche den Besuch Maurines jedoch nicht im mindesten trüben konnte und die Prägung einer Landschaft durch die Paranoia eines Staatsführers –
Die Albaner:innen nennen ihr Land nicht "Albanien", sondern "Shqipëri", was übersetzt "Land der Adler" bedeutet.
Der Adler hat eine große Bedeutung für die Bevölkerung und gilt als nationales und ethnisches Symbol. Die älteste bekannte Darstellung des Adlers geht auf eine Steinmetzarbeit aus dem 10. Jahrhundert zurück.
Die albanische Flagge zeigt einen schwarzen, zweiköpfigen Adler auf rotem Hintergrund. Es wird angenommen, dass dieses Design auf Prinz Skanderbeg zurückgeht, einen Helden aus dem 15. Jahrhundert, der 1443 erfolgreich einen Aufstand gegen die osmanischen Türken anführte. Er übernahm eine ähnliche Flagge mit einem doppelköpfigen Adler auf rotem Hintergrund, die im Mittelalter von verschiedenen Adelsfamilien verwendet wurde und schließlich zum Symbol des albanischen Volkes wurde.
Nach dem erste Balkankrieg wurde Albanien aus dem Osmanischen Reich herausgelöst und das Fürstentum Albanien gegründet.
Es war der erste unabhängige albanische Staat der Neuzeit.
Auf das Fürstentum folgte das Königreich Albanien, das 1928 gegründet wurde.
Es wurde 1939 von Italien besetzt und nach der italienischen Kapitulation 1943 von deutschen Truppen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Albanien zur sozialistischen Volksrepublik Albanien erklärt. Unter der Führung von Enver Hoxha war das Land eine streng kommunistische Diktatur. Bis zum Fall dieses Regimes isolierte sich der Staat fast komplett vom Westen. Ab 1991 wurde aus der Volksrepublik die Republik Albanien.
Seit 2009 ist Albanien NATO-Mitglied und seit 2014 Beitrittskandidat der EU.
Wirklich spannend ist die Geschichte Albaniens während des 2. Weltkrieges. Und in dieser Zeit vor allem der Umgang mit den Juden.
Vor der Zeit Hitlers lebten etwa 200 Juden in Albanien.
Nachdem Hitler 1933 die Macht in Deutschland übernommen hatte, fanden viele Juden Zuflucht in Albanien. Es gibt keine genauen Angaben über deren Anzahl, aber verschiedene Quellen gelangen zu der Einschätzung, dass etwa 1'800 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich, Serbien, Griechenland und Jugoslawien nach Albanien kamen, in der Hoffnung, von hier aus nach Palestina oder anderen Fluchtorten zu gelangen. Nach der Besetzung Albaniens durch die Deutschen im Jahr 1943 weigerte sich die Bevölkerung Albaniens in einem außergewöhnlichen Akt, die Anweisungen der Besatzer zu befolgen und ihnen Listen mit den Namen der Juden auszuhändigen, die unter ihnen lebten. Darüber hinaus versorgte der Staat viele jüdische Familien mit gefälschten Papieren, mit denen sie sich unter die Lokalbevölkerung mischen konnten. Die Albaner schützten nicht nur ihre eigenen jüdischen Bürger, sondern gewährten auch jenen Flüchtlingen Zuflucht, die nach Albanien gekommen waren, als es noch unter italienischer Herrschaft stand und die nun in der ständigen Gefahr lebten, in Konzentrationslager deportiert zu werden. Die bemerkenswerte Unterstützung, die den Juden entgegengebracht wurde, war begründet in dem Ehrenkodex "Besa", der noch heute in Albanien als der höchste ethische Wert gilt. Besa heißt wörtlich „ein Versprechen halten“. Jemand, der nach dem Prinzip Besa handelt, ist jemand, der sein Wort hält, jemand, dem man sein eigenes Leben und das seiner Familie anvertrauen kann. Die Hilfe, die Juden und Nicht-Juden gewährt wurde, kann als Angelegenheit nationaler Ehre verstanden werden. Die Albaner scheuten keine Mühe, um zu helfen, ja sie konkurrierten sogar untereinander um das Privileg, Juden zu retten. Sie handelten aus menschlicher Güte, Mitleid und dem Bedürfnis, Menschen in Not zu helfen. Dabei spielte es keine Rolle, ob jemand einen anderen Glauben oder eine andere Herkunft hatte als sie selber.
In Berat beispielsweise wurden 600 Juden bei muslimischen und christlichen Familien untergebracht und als Verwandte ausgegeben. Alle Juden aus Berat konnten dadurch gerettet werden.
Albanien, ein europäischer Staat mit einer muslimischen Mehrheit, brachte zuwege, woran andere europäische Länder scheiterten. Alle Juden, die während der deutschen Besatzung innerhalb der Staatsgrenzen Albaniens lebten, und zwar albanische Staatsbürger ebenso wie Flüchtlinge, wurden – bis auf einige Mitglieder einer einzigen Familie – gerettet. Es ist eine beeindruckende Tatsache, dass in Albanien am Ende des Krieges mehr Juden lebten als zuvor.
Ein gutes Beispiel dafür, wie sich die albanische Bevölkerung gegenüber dem Fremden verhält. Offen, gastfreundlich, hilfsbereit und lächelnd.
Und das Ganze ohne spürbare Vorurteile.
Von Montenegro kommend sind wir beim Shkodër-See nach Albanien eingereist und haben uns, mit Umwegen, Richtung Tirana aufgemacht. Wir erwarteten unseren ersten Besuch. Maurine reiste für eine Woche mit uns mit.
Über grenzwertige Offroadstrecken ging es in die Bergregionen um Teth und danach ans Meer bei Durrës: Nasse Nächte im Zelt, wilde Flussdurquerungen, Strassenräumungen, vermüllte Strände, Lagerfeuer und historische Burgen.
Es war eine wunderschöne Woche mit Maurine, obwohl das Wetter nicht ganz mitgespielt hat. Rückblickend war die Maurine-Woche bis jetzt die wettertechnisch schlechteste Woche unserer ganzen Reise. Nachdem wir Maurine wieder am Flughafen Tirana abgeliefert hatten, wollten wir in die Innenstadt fahren. Nur soviel dazu: Maurine war schneller in Zürich als wir in der Stadt. Ein riesiges Chaos. Unseren Bus haben wir bei einer Parkmöglichkeit ausserhalb der Stadt abgestellt und sind mit dem Stadtbus weiter. Nach einer Stunde im vollgepackten Bus sind wir ausgestiegen und die restliche Strecke gelaufen. Das war definitiv die schnellere Variante. Tirana ist eine Stadt im Umbruch. Glänzende Fassaden von Wolkenkratzern winden sich in den Himmel Tiranas und viele Bürger arbeiten an ihrem Traum vom Eigenheim. Man sagt, dass die emsige Bautätigkeit am Eigenheim der Versuch eines Triumphs ist. Der Triumph des privaten Glücks gegenüber dem Kontroll- und Kollektivierungszwang des einstigen verrückten Despoten.
Um Tirana gibt es die einzige kostenpflichtige Autobahn des Landes. Wir haben diese Autobahn an vier verschiedenen Tagen benutzt. Bezahlen mussten wir nie. Da stehen also 5 Bezahlhäuschen in jeder Richtung. In jedem Häuschen sitzt eine Person nur um dir zu sagen, dass es heute nichts kostet.
10 Personen, die den ganzen Tag nichts anderes tun als zu sagen, dass man sie heute nicht braucht. Kann man so machen! Man könnte aber auch die vorhandenen Ampeln einfach auf Grün stellen.
An einem anderen Tag leitete uns Google Maps wegen einer Baustelle von der Autobahn runter und nach einigen Kilometern wieder zurück auf dieselbe Strasse. Vor der Autobahnauffahrt sass aber eine ältere Frau neben einer Schranke und verlangte für die Benutzung der Auffahrt Geld. Wir haben keine Ahnung wie das Ganze funktioniert. Hat sie die bestehende Auffahrt annektiert? Hat sie die Auffahrt selbst gebaut? Gab sie für die Auffahrt Land her und darf dafür Geld einziehen? Besteht eine Zusammenarbeit mit Google Maps? Wir wissen es nicht!
Nach einem zweiwöchigem Ausflug nach Nordmazedonien sind wir beim Ohrid-See wieder nach Albanien eingereist. Der Südosten des Landes überzeugt mit einer abwechslungsreichen Natur und geschichtsträchtigen Städten. Die Einzelheiten sind ja auf Polarstep ersichtlich 😉
Der schönen Küste entlang sind wir danach Richtung griechische Grenze gefahren. Bei Vuno haben wir von einem Ort Namens Aquariumbeach gehört. Ein Ort der uns bestimmt noch lange in Erinnerung bleiben wird und der definitiv ein Fixpunkt auf unserer Heimreise sein wird. Parken direkt am Strand und herrliches Wetter. 5 Tage Ruhe, Lagerfeuer, Angeln und schöne Begegnungen. Lieber Frank, liebe Mabel, wir sind im Frühling wieder dort und warten dann mit gesägtem Holz und montierten Angelhaken auf eure Ankunft 😍
Dinge die einem in Albanien so auffallen:
Bunker
Während des Kalten Krieges wurde der Diktator Enver Hoxha in seiner Isolation immer paranoider und war schließlich davon überzeugt, dass die Sowjetunion, die USA und China eines Tages Albanien angreifen würden. Aus diesem Grund ließ er zwischen 1972 und 1983 im ganzen Land rund 200'000 Bunker bauen. Zu dem von Hoxha befürchteten Großangriff der Weltmächte auf Albanien kam es zwar nie, aber die meisten Bunker stehen noch heute und erinnern an diese dunkle Zeit. Die Albaner:innen sind jedoch kreativ in der Nachnutzung: Heute werden die oft pilzförmigen Bunker als Tattoostudio, Hotel, Bar, Stall oder tatsächlich auch zur Pilzzucht genutzt.
Plüschtiere
In ganz Albanien wird man beobachtet.
Überall hängen, teils von der Witterung zu morbiden Kreaturen verunstaltete, Plüschtiere.
Um böse Geister abzuwehren, hängt die Landbevölkerung Stofftiere und Puppen an Gebäude und Häuser. Diese „Dordolecs“ hängen dort gegen den bösen Blick, gegen Neid und Missgunst von Nachbarn und Freunden. Die jahrhundertealte Tradition des Dordolec, die während des Kommunismus fast ausgerottet wurde, lebt seit Anfang der 1990er Jahre wieder auf.
Mercedes E-Klasse
Albanien, oder der Gnadenhof für sterntragende Limousinen.
Die E-Klasse ist das Auto von Albanien. Hierbei gilt das Motto, Hauptsache Stern.
Hat ein Mercedes das Tüv‘sche Lebensende erreicht, werden die Fahrzeuge nach Albanien gebracht und vervielfachen hier über Jahrzehnte die bisher gefahrenen Kilometer.
Oft nur noch Blech mit mercedesähnlicher Kontur, aber der Stern glänzt.
Das war Albanien
Wir waren von der abwechslungsreichen Natur begeistert, von der traditionsreichen Kultur fasziniert, von den schönen Städten überrascht und von der gelebten Gastfreundschaft berührt.
Ein albanisches Sprichwort lautet:
Shtëpia e një shqiptari i përket Zotit dhe mitverfolgt të tij
„Das Haus eines Albaners gehört Gott und seinen Freunden.“
In ganz vielen Situationen haben wir diese Lebensweise spüren dürfen. Die Gastfreundschaft wird mit einer solch grossen Selbstverständlichkeit gelebt, dass man kaum Mühe hat sie ohne schlechtes Gewissen anzunehmen. Und man merkt auch, dass diese Gastfreundschaft mehr ist als ein persönliches Bedürfnis. Sie ist gelebte Kultur. Genau diese Tatsache verlangt einen feinfühligen Umgang seitens des Reisenden.
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